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Maschinelles Lernen und Fußball

02. September 2020

Bis vor etwa 15 Jahren war der Profifussball hinsichtlich Taktik und Training vollständig auf die Erfahrung, den Instinkt und die Intuition der handelnden Personen angewiesen. Dies begann sich mit der damals neuen Generation sogenannter Laptop-Trainer zu ändern. Die Entstehung dieses Begriff ist rückblickend betrachtet ein Merkmal dieses Paradigmenwechsels. Wurden zuvor Entscheidungen hauptsächlich basierend auf persönlicher Berufserfahrung getroffen, so wurde es nun möglich, Entscheidungen auf Basis tatsächlicher Daten zu treffen. Ein prominentes Beispiel aus der damaligen Zeit ist der kleine Notizzettel, der bei der WM 2006 kurz vor dem Elfmeterschießen im Spiel zwischen den Nationalmannschaften Deutschlands und Argentiniens an den deutschen Torhüter Jens Lehmann weitergegeben wurde.

Eine Fülle von Daten im Profifußball

Heutzutage gibt es im Profifussball eine Fülle von Daten. Sportec Solutions, ein Tochterunternehmen der DFL, produziert rund 3 Millionen Datenpunkte pro Spiel. 25 Mal pro Sekunde werden für alle 22 Spieler auf dem Spielfeld eine Reihe von Merkmalen verfolgt. Zu den Features gehören unter anderem die Koordinaten aller Spieler und des Balls. Manuell erstellte Event-Datensätze liefern zudem Informationen über Eckstöße, erfolgreiche und verfehlte Torschüsse, Verwarnungen und vieles mehr. Die generierten Datensätze werden üblicherweise an TV-Sender und Vereine verkauft. Maschinelles Lernen und Fußball (Photo by Bence Balla-Schottner on Unsplash)

Das Generieren von Trackingdaten

Unternehmen wie Sportec Solutions haben Zugang zu speziellen Kameras, die an geeigneten Stellen rund um das Spielfeld platziert sind. Sie ermöglichen eine recht präzise Verfolgung von Ball und Spielern, auch wenn diesem Aufbau in der derzeitigen Form gewisse Grenzen hinsichtlich Genauigkeit und Rauschfreiheit gegeben sind. Im Prinzip kann jeder damit beginnen, aus geeigneten Fernsehbildern Daten über Fußballspiele zu produzieren - denn auch in der Projektion auf die zweidimensionale Bildschirmfläche sind die meisten Informationen vorhanden. Diese Aufgabe kann natürlich manuell nicht auf wirtschaftliche Weise erledigt werden und erfordert Automatisierungstechniken aus dem Bereich des Maschinellen Sehens. Das Start-up-Unternehmen Subsequent setzt geeignete Dienste automatisiert und mit modernsten Techniken um. So können auch Höhenkoordinaten und Positionen der Extremitäten aufgezeichnet werden.

Anwendungsfälle

Die Tracking- und Event-Daten ermöglichen ein breites Spektrum von Anwendungsfällen. Über maßgeschneiderte Dashboards und Visualisierungen können Trainer und Analysten auf einen Blick Erkenntnisse über die Spielweise der eigenen und gegnerischer Mannschaften erhalten. Dies beinhaltet zum einen die Ableitung direkter Statistiken über einzelne Spieler, Gruppen von Spielern oder eine Mannschaft als Ganzes. Dabei handelt es sich um simple aggregierte Statistiken, wie Sie sie wahrscheinlich aus dem Fernsehen gewohnt sind wie Erfolgsquoten von Pässen, Tackles, Schüssen - sowohl für die Mannschaft als auch für einzelne Spieler. Darüber hinaus kann es sehr aufschlussreich sein, abstraktere Statistiken zu erstellen, wie z.B. Torwartmetriken, die Effektivität von Pässen, die berüchtigten Packingraten oder Statistiken über Standardsituationen.

Maschinelles Lernen im Profifußball

Das nächste Level an Erkenntnissen wird durch Maschinelles Lernen generiert werden. Einen ersten Vorgeschmack auf darauf geben die Torwahrscheinlichkeiten xGoals, die ab der Saison 20/21 in der Fernsehübertragung zu sehen sein werden. Jeder Schuss aus dem aktuellen Spiel wird mit der Datenbank aller ähnlichen Schüsse verglichen, mit denen das Modell trainiert worden ist. Der Modellaufbau beinhaltet unter anderem die Position des Schützen und das Abwehrverhalten der verteidigenden Mannschaft. Aber das Maschinelle Lernen ermöglicht viele weitere Anwendungsfälle. Zum Beispiel erspart die automatische Erkennung komplexer Muster den Spielanalysten viel Zeit, die sie stattdessen in andere Themen investieren können. Konzentrieren wir uns auf ein konkretes Beispiel.

Automatisierte Taktikanalyse des kollektiven Mannschaftsverhaltens

Für Analysten ist es überaus zeitaufwändig, Spielszenen zu beobachten und taktische Varianten eines Gegners abzuleiten. Im Falle von Standardsituationen umfasst dies die anfängliche Positionierung der Spieler sowie ihrer Bewegungsabläufe in Erwartung der Ausführung der Standardsituation. Mit Hilfe der Tracking-Daten können Algorithmen diesen Prozess automatisch durchführen. Technisch betrachtet kann dies folgendermaßen gelöst werden: Die raum-zeitlichen Koordinatenbahnen aller Spieler werden mit einer Kombination aus faltenden und rekurrenten neuronalen Netzen kodiert sowie die hochdimensionalen Informationen über die Koordinaten aller Spieler mit Hilfe der Autoencoder-Technik in einen niedrigdimensionaleren latenten Raum komprimiert. Anschließend arbeitet ein Clustering-Algorithmus auf dem latenten Raum und sortiert nach ähnlichen mannschaftlichen Gruppentaktiken.

Defensive Advice Board

Ziel ist es, dass das System ähnliche Standard-Strategien zusammenfasst und für jeden Gegner ein Cluster-Profil erstellt. Ein solches Cluster-Profil ermöglicht es dem Trainer, über eine geeignete Dashboard-Visualisierung auf einen Blick zu erkennen, welche Standard-Strategien vom Gegner in welcher Häufigkeit durchgeführt wurden. Die Analyse kann auf einem benutzerdefinierten Zeitrahmen basieren, sie kann aber auch Änderungen im Laufe einer Saison automatisiert erkennen, wie sie z.B. durch einen neuen Cheftrainer oder die Verletzung von Schlüsselspielern bewirkt werden können.

Simulation des Verhaltens der gegnerischen Mannschaft

Eine weitere vielversprechende neue Technik besteht in der sogenannten Ghosting-Methode. Dieser Ansatz basiert auf LSTM-Netzwerken und dem Imitation-Learning, das mit dem Reinforcement-Learning verwandt ist. Dieses dient der Veranschaulichung des Verhaltens bestimmter Mannschaften oder auch dem Ligadurchschnitt in Bezug auf konkrete vorgegebene Szenarien. Diese Methode ermöglicht die automatisierte Beantwortung von Fragen wie "Wie würde sich Team X gegen die Offensivstrategie Y verteidigen und wie wird dies den xG-Wert derentsprechenden Standardsituation beeinflussen?"

Ausblick

Wenn auch konzeptionell simpel, ist Fussball ein enorm komplexes Spiel, das es zu optimieren gilt. Die durch Maschinelles Lernen gewonnenen Erkenntnisse werden zwar nicht einen Mangel an Motivation oder Charakter innerhalb einer bestehenden Mannschaft ausgleichen können, aber sie werden in den kommenden Jahren die Art und Weise, wie das Spiel gespielt wird, verändern. Spielstrategien werden sich zusehends auf einen insgesamt höheren Grad an Effizienz zubewegen. Der Bottom-up-Ansatz dafür, wie lokal zu handeln ist, um ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen, wird stringent durch top-down abgeleitete Anweisungen ersetzt werden. Auch andere Mannschaftssportarten wie Handball oder Basketball werden von diesen Fortschritten profitieren.

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